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Urbaner Gartenbau – Urbane Wildnis

 Wie geht es weiter mit der Entwicklung unserer Städte? Da gibt es seit Jahren den Slogan vom „Urbanen Gartenbau“. Er hat sogar schon einen Wikipedia-Eintrag errungen. Eine aktuelle Bertelsmann-Studie belegt dagegen die Sehnsucht nach „Urbaner Wildnis“. Und wovon wollen wir uns in dieser wunderbar widersprüchlichen, städtischen Zukunft ernähren? Vielleicht von smarten, App-gesteuerten Kräuterkistchen für die urbane Küche. Regionaler Anbau halt!

Ohne Ironie kann man die verschiedenen Ansätze kaum nebeneinanderstellen oder gar unter einen gemeinsamen Hut bringen. Die Information über „smarte Kräuterbeete“ verdanke ich der Zeitschrift Computer Bild, Heft 2/2022. Hat mich heute 4,90 € gekostet. Ein Blick in die Zukunft ist das aber wert. Es gibt demnach einen Markt für kleine, elektronisch gesteuerte, hydroponische, belichtete Saatkistchen, die auch optisch gut in eine durchgestylte Küche passen. Zum Thema Nachhaltigkeit wird in dem Testbericht ausgeführt:

 

„Statt ständig neue, in Plastik verpackte Kräuter im Supermarkt zu kaufen, die häufig lange Transportwege hinter sich haben, wachsen die Kräuter jeweils in einem Hydrokultursystem vor Ort – und immer wieder nach. Dafür brauchte es im Test relativ wenig Wasser und Dünger. Auch der Stromverbrauch fürs Licht hielt sich in Grenzen. Bei den Materialien fürs Gerät setzt Simpleplant auf lokale Partner, Bosch immerhin auf recycelten Kunststoff. Die Pflanzkapseln sind beim Smartgarten mit Bio-Samen aus Hessen befüllt und landen nach dem Gebrauch auf dem Kompost. Nicht so beim Smartgrow: Hier kommt Vulkanstein zum Einsatz.“

 

Das klingt doch sehr beruhigend. Ums Licht kümmern sich beim Modell Smartgarten von Simpleplant übrigens 65 dimmbare LED-Lampen. Haben vermutlich auch lange Transportwege hinter sich.

 

Es ist sicher ungerecht gegenüber den Promotern des Urban Gardening, ich kann mir aber nicht helfen: Irgendwie landen bei mir das Urban Gardening, die urbane Wildnis und der Smartgarten in einem Topf.

 

Wie aber kam es zu dem Traum von der urbanen Wildnis? Die Bertelsmannforscher wollten von einer annähernd repräsentativen Gruppe von 1.019 Personen wissen: „Wie stellen Sie sich die Stadt der Zukunft vor, in der Sie gerne leben würden?“ Dazu wurden den Befragten neun Zukunftsvisionen vorgestellt und zur Abstimmung über die Priorisierung vorgelegt. Den ersten Platz belegte die Urbane Wildnis, die folgendermaßen beschrieben war:

 

„Diverse natürliche Lebensräume wie Blühwiesen, Wäldchen oder Gewässer sowie neue Konzepte zur Integration naturnaher Lebensräume in den urbanen Raum (z.B. Dach- und Fassadenbegrünungen) sichern die Artenvielfalt und den Artenschutz in der Stadt.“

 

Das neu aufgelegte Programm der Bundesregierung „Grün in der Stadt“ spricht diese Bedürfnisse direkt an. Die ausführenden Unternehmen des Garten- und Landschaftsbaus und Ihre Verbände sind verständlicherweise erfreut über die politische und finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit. Für das Herstellen von Wildnis sind die Gärtner zwar nur bedingt zuständig, vielleicht liegt es aber an der irreführenden Begrifflichkeit, die zum 1. Rang in der Wunschliste führte. Da muss man erst darauf kommen, Fassadenbegrünungen unter den Oberbegriff der Wildnis einzuordnen. Demoskopie und Wissenschaft sind halt doch nicht immer sauber unter einen Hut zu bringen. Wie die verschiedenen urbanen Visionen.

 

Das war es, was mir heute in pandemiebedingter Abgeschiedenheit so durch den Kopf ging und das wohl einen Logbucheintrag wert ist.

 

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